Ein Kommentar von Rosa Hackl
Operation Ark ist vorerst abgeschlossen, Pen Farthing und seine Tiere sind wohlbehalten in Großbritannien gelandet. Jetzt ist der Gründer von NOWZAD allerdings mit dem Vorwurf, er hätte die Tiere den Menschen vorgezogen, konfrontiert. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace ist mit den Tierschützern aneinandergeraten seit sein Berater Peter Quinton eine Audionachricht von Pen Farthing geleakt hat und er selbst von „Vordrängeln“ spricht. In Großbritannien wird nun, da die afghanischen Mitarbeiter in Kabul zurück bleiben mussten, heftig debattiert ob Tiere gegenüber Menschen bevorzugt wurden. Das wollen weder Pen Farthing, noch Dominic Dyer auf sich sitzen lassen. Bei einer näheren Betrachtung haben sie dazu auch keinen Grund. Denn nichts spricht dafür, dass Pen Farthing seine Mitarbeiter zurücklassen wollte oder diese aufgrund seiner Fahrlässigkeit sitzen geblieben wären. Zudem arbeitet NOWZAD noch immer daran, für die Mitarbeiter einen Weg nach Großbritannien zu finden.
Was ist das Thema?
Es geht darum, dass Paul „Pen Farthing“ im Zuge der Operation Arche die Rettung von Tieren gegenüber der Evakuierung von Menschen priorisiert hätte. Aufgrund der aktuellen Faktenlage ist die Antwort auf diesen Vorwurf eher eine Glaubensfrage. Denn es gibt zwei Seiten, die einander diametral gegenüber stehen. Die eine sieht den Ex-Marine als Anwärter auf den Ritterschlag. Die andere Seite dagegen wirft ihm vor Menschen im Stich gelassen zu haben. Das Thema polarisiert, denn in der hitzigen Debatte geht es um Moral und Ethik aber es geht auch um Wahrheit und Lüge sowie um Handlungsspielräume. Ausgelöst wurde die Konfrontation durch ein Leak. Peter Quinton, der als politischer Berater für Ben Wallace, den britischen Verteidigungsminister, tätig ist, veröffentlichte eine emotionale Audiobotschaft von Pen Farthing.
„Hol mich, meine Leute und meine Tiere raus aus Afghanistan. Ich habe 22 Jahre lang der Armee gedient. […] Du hast Zeit bis morgen früh. Ich bin um 7.45 Uhr bei Sky News auf Sendung und Dein Name wird der einzige sein, über den die Leute reden.“
Pen Farthing an Peter Quinton, Quelle: Times
Der Vorwurf: „he put his animals first“ – aber stimmt das?
Die Tatsache, dass die meisten NOWZAD Mitarbeiter in Afghanistan zurück bleiben mussten und das Leak der Audiobotschaft haben in Großbritannien eine hitzige Debatte entfacht. Die Frage, die diskutiert wird: „Darf man Tiere gegenüber Menschen bevorzugen“? Geht man nach dem Ergebnis einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov vom 27.August 2021, dann sind sich die Briten in dieser Frage uneins. 49 Prozent vertreten die Meinung, dass Menschenleben mehr zählen als Tierleben. Allerdings halten 40 Prozent der Befragten die Leben von Menschen und Tieren für gleich wertvoll. Das erklärt warum Operation Ark so sehr polarisiert. Diese aufgeheizte Stimmung trägt nicht zur Wahrheitsfindung bei. Denn klar ist die Situation keineswegs. Dominic Dyer, hat in mehreren Interviews klar gestellt, dass es bei Operation Ark immer auch um eine humanitäre Rettungsaktion ging.
Die Logik lässt vermuten, dass Pen Farthing niemand priorisierte
Die Kommunikation auf Twitter zeichnet das Bild eines Pen Farthing, der versucht „seine“ Menschen und „seine Tiere“ zu retten. Eine Bevorzugung der einen oder anderen Spezies lässt sich nicht herauslesen. Berücksichtigt man, dass er mit seinem Team über Jahre zusammen gearbeitet hat, ergibt sich daraus, dass dadurch tiefe menschliche Beziehungen entstanden sind. Küchenpsychologisch betrachtet: Der Mann müsste ein Soziopath sein um sein Team eiskalt im Stich zu lassen. Dazu ist dieser Mann allerdings zu emotional, wie die geleakte Audionachricht belegt. Dazu kommt, Verantwortung dürfte im Leben dieses Mannes eine große Rolle spielen. Die Fähigkeit harte Entscheidungen zu treffen begründet sich vermutlich in seiner Vergangenheit als Ex-Marine. Immerhin hat Pen Farthing 22 Jahre in der Armee gedient und war als Royal Marine in der Provinz Helmand im Einsatz.
„Nobody in the British Government facilitated my entry into that airport – I did that with the Taliban“
Pen Farthing in The U.S. SUN 30.August 2021
Es ist daher zu vermuten, dass Pen Farthing einen Weg gesucht hat um beide – Mitarbeiter und Tiere gleichermaßen, zu evakuieren. Die Evakuierung seines Teams dürfte am Nein der Taliban gescheitert sein. Ob er sich persönlich Tieren näher fühlt als Menschen, das kann nur Pen Farthing selbst beantworten. Aus seinen Handlungen lässt sich das nämlich nicht ablesen.
Handlungsspielräume bestimmen die Taten
Es ist bekannt, dass die letzte Woche in Kabul unübersichtlich verlief, spätestens nach dem Bombenanschlag der ISIS-K war es pures Chaos. Die Evakuierung aus Kabul darf man sich daher nicht als eine Aktion mit einem planbaren Ablauf vorstellen. Wahrscheinlicher ist, dass viele Entscheidungen kurzfristig und auf Basis mangelnder Information getroffen werden mussten. Die Handlungsspielräume aller Beteiligten waren ziemlich sicher eingeschränkt. Das mag das vermutliche Missmanagement erklären. Mit diesen Vorwürfen sind alle Politiker konfrontiert, deren Länder versucht haben Menschen aus Kabul auszufliegen. Ben Wallace macht da keine Ausnahme, auch er steht in der Kritik. In dieser Situation von Pen Farthing zu erwarten, dass ausgerechnet er eine fehlerfrei ablaufende Evakuierungsaktion durchführt ist wohl sehr optimistisch.
„I came up to the British checkpoint, that was the first time – and this is well into the airport, the Taliban and British are stood there, there’s some barbed wire separating them – that was the first time I spoke to any British people. (…) “So whoever is making any accusations or any comments needs to actually have been stood there on the ground to see how I got into that airport.“
Pen Farthing in The U.S. SUN 30.August 2021
PR für die Freiheit
Die Öffentlichkeitsarbeit für „Operation Ark“ war ausgesprochen gut und professionell und das wird nun Pen Farthing und Dominc Dyer zum Vorwurf gemacht. Ben Wallace wirft dem Ex-Marine vor, er hätte sich „vorgedrängelt“, zu viel wertvolle Zeit seiner Mitarbeiter verschwendet und diese noch dazu unter Druck gesetzt. Fakt ist, dass erst als die PR-Maschine angeworfen wurde, Bewegung in die Sache kam. Es gibt Berichte, dass es ein Angebot gab Pen Farthing, allerdings ohne Garantie für das NOWZAD-Team und definitiv ohne Vierbeiner auszufliegen. Das ist ein Vorschlag den ein Tierschützer nicht annehmen kann. Schon gar nicht, wenn es einen spendenfinanzierten Charterflug gibt. Es ist also kein Wunder, dass Pen Farthing auf die Öffentlichkeit setzte und seine PR-Maschine in Gang brachte. Das Motto war „Alle oder Keiner“. Denn die Tiere hätten unter den aktuellen Umständen keine Überlebenschance gehabt. Daher konnte die NOWZAD-Kampagne nur auf eine Lösung setzen, die diese Tiere inkludierte.
Darf man in Kriegszeiten überhaupt Rücksicht auf Tiere nehmen?
Ja – das darf man. Denn auch diese Tiere sind einerseits Leidtragende des Afghanistan-Konflikts und sie sind gleichzeitig die vierbeinigen Seelenklempner für die traumatisierten Veteranen dieses Einsatzes. NOWZAD wurde nämlich dafür gegründet um Kriegsveteranen mit ihren pelzigen Freunden wieder zu vereinen. Aus der Arbeit mit Therapiehunden weiß man, wie sehr Tiere Menschen (positiv) beeinflussen können. Vergessen sollte man auch nicht, dass NGOs wie NOWZAD oder KSAR einigen Afghanen Ausbildung und einen sicheren Job beschert haben. Dass durch diese Zusammenarbeit Brücken zwischen den Kulturen geschlagen wurden und neue Ideen einzogen. Diese Art von Tierschutz hat immer auch eine humanitäre Note. Es geht nicht „nur um Tiere“, es geht ebenso um Menschen, deren Leben und Denkmuster positiv beeinflusst werden. Der Vorwurf Pen Farthing ginge es nur die Tiere, der läuft ins Leere.
Wer sind denn die Vierbeiner von NOWZAD und KSAR?
Das sind Hunde die mit Menschen, die im Afghanistaneinsatz waren, Freundschaft schlossen. Sie emotional unterstützt haben. Manche von ihnen waren als Military Dogs im Einsatz. Sprengstoffsuchhunde zum Beispiel. Private Sicherheitsfirmen haben diese Tiere nicht evakuiert. Manche der Hunde gehörten Ausländern, die in Afghanistan gearbeitet hatten und die Hunde bei der Evakuierung zurückließen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie keine Überlebenschance in Kabul hätten. Die Taliban sind keine großen Hundefreunde, besonders dann nicht, wenn die Vierbeiner dem Militär oder einem Ausländer gehört haben. Privathundehaltung ist aus ihrer Sicht eine westliche Dekadenz, die man bekämpfen muss. Für diese Hunde wäre es das Todesurteil gewesen, wenn es Operation Ark nicht gegeben hätte und sie in Kabul geblieben wären.
Warum wurde geleakt und was bedeutet das Leak?
Das sind Fragen die man stellen muss. Denn warum gibt ein Berater des britischen Verteidigungsministers eine Audionachricht weiter? Was hat Peter Quinton geritten eine emotionale aber private Nachricht öffentlich zu machen? Die medialen Konsequenzen müssten ihm bewusst gewesen sein. Dazu kommt, dass man diese Audionachricht im Kontext betrachten muss, denn jemand der im Ausnahmezustand sitzt, ist selten höflich. Der Druck auf Pen Farthing muss zu dieser Zeit enorm gewesen sein. Warum also verwendet man dieses Statement um aus Pen Farthing einen herzlosen Tierschützer zu machen, dem Menschen egal sind? Dieser „Schuss“ kann nur nach hinten losgehen. Denn die Debatte wird zwangsläufig zu der Frage führen wieso das NOWZAD-Team zurückbleiben musste. Pen Farthing sagt: „Hol mich, meine Leute und meine Tiere raus aus Afghanistan“ . Das klingt nicht nach jemanden der sein Team sitzen lassen möchte.
Hol mich, meine Leute und meine Tiere raus aus Afghanistan
Pen Farthing
Die Audionachricht spricht Pen Farthing vom Verdacht, er könnte Tiere gegenüber Menschen bevorzugt haben, eigentlich frei. Woher kommt also der Vorwurf er hätte seine Tiere priorisiert? Ist dieser Vorwurf überhaupt haltbar? Haben die Handlungen von Pen Farthing das nicht eindeutig widerlegt? Wer nun sagt: „Aber er ist ohne seine Mitarbeiter abgeflogen“. Der muss auch die Frage nach dem Warum stellen. Wer hat das Team aufgehalten? Warum konnten seine Mitarbeiter nicht ausreisen? Die Antworten auf diese Fragen sind vermutlich unbequem aber wie es aussieht, nicht unbedingt für Pen Farthing oder NOWZAD.
Haben die Medienleute verlernt die richtigen Fragen zu stellen?
Bei manchen Artikeln zum Thema Operation Ark möchte man das meinen. Denn der Fakt, dass Pen Farthing sein Team zurücklassen musste sagt nicht, dass er dies wollte oder so geplant hätte. Es führt vielmehr zu der Frage nach dem Warum. Denn am Platz ist es nicht gescheitert. Die Tiere sind im Frachtraum gereist. Sie haben keine Sitzplätze belegt. Es wäre Platz für das Team und all ihre Familienmitglieder gewesen. NOWZAD hätte davon profitiert, denn die Organisation braucht eingearbeitete Hilfskräfte und Veterinärmediziner:innen für die Versorgung der Tiere, auch in Großbritannien. Aufgrund des BREXIT ist es gar nicht so leicht Arbeitskräfte dieser Art zu bekommen. Also welches Interesse hätte Pen Farthing oder NOWZAD gehabt, die afghanischen Mitarbeiter in Kabul zurück zu lassen?
Der Versuch eines Fazit
Aktuell sprechen alle Indizien dafür, dass Operation Ark auch als humanitäre Aktion geplant war. Die Grundintention war Mensch und Tier auszufliegen. Man kann Pen Farthing nicht unterstellen, dass er sein Team in der afghanischen Hauptstadt aus freiem Willen zurück gelassen hätte. Die Arbeit von NOWZAD in Afghanistan belegt, dass der humanitäre Gedanke nicht vernachlässigt wurde. Afghanen und Afghaninnen wurden angestellt und ausgebildet. Der Tierschutz hat auch den Menschen vor Ort gedient. Als die Situation kritisch wurde, hat man sich um Visa für die Betroffenen gekümmert. Im privat gecharterten Flugzeug war Platz genug für die Menschen. Es gibt kein Indiz, dass NOWZAD die Menschen zurücklassen wollten. Der Fakt, dass die afghanischen Mitarbeiter:innen trotzdem in Kabul zurück blieben reicht nicht aus um dem Ex-Marine zu unterstellen, dass ihm Tiere wichtiger als Menschen wären. Er hätte die Tiere und sich selbst dem sicheren Tod ausliefern können – aber wem wäre damit geholfen gewesen?